(DE) SW*IP CH Stellungnahme: philoSOPHIA
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Diese Slideshow gibt einen Überblick über die mediale Berichterstattung seit Veröffentlichung von Bettina Webers Artikel in der Sonntagszeitung am 19. März 2022, in dem die Kurator:innen von philoSOPHIA, einer Ausstellung zu Frauen* in der Philosophie im Rahmen der philExpo22, des Ausschlusses von Carola Meier-Seethaler und der "cancel culture" beschuldigt wurden. Stand 08. Mai 2022.
Zeitleiste der Ereignisse
Sommer 2021 Das Philosophie-Festival philExpo22 beginnt mit der Organisation von Veranstaltungen in der ganzen Schweiz.
14.06.2021 Tanja Liebschwager und ihr Team beginnen mit der Planung von philoSOPHIA, einer Ausstellung über Frauen* in der Philosophie in der Schweiz, die im Rahmen der philExpo22 stattfindet.
14.02.2022 Die Kurator:innen von philoSOPHIA kontaktieren Philosoph:innen in der Schweiz, um Beiträge für ihre Ausstellung zu erbitten und laden in diesem Zusammenhang Carola Meier-Seethaler ein, einen Text oder ein Video zu verfassen.
14.03.2022 Die Kurator:innen von philoSOPHIA strukturieren ihre Ausstellung um und schlagen Carola Meier-Seethaler vor, ihren Beitrag in einen anderen Bereich der Ausstellung zu verlegen.
19.03.2022 Carola Meier-Seethaler zieht ihren Beitrag zurück.
19.03.2022 Die Sonntagszeitung veröffentlicht einen Artikel, in dem sie philoSOPHIA vorwirft, cancel culture zu betreiben und Carola Meier-Seethaler wegen einer transfeindlichen Bemerkung in ihrem Beitrag auszuschliessen.
27.04.2022 Andere Medien (z.B. Emma) greifen den Artikel und das Narrativ der Sonntagszeitung auf.
SW*IP Stellungnahme
Während der philExpo22 finden in der ganzen Schweiz viele verschiedene philosophische Veranstaltungen statt. Eine davon, die philoSOPHIA-Ausstellung in Basel, die von lokalen Studierenden organisiert und kuratiert wird, hat in den letzten Wochen viel mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Leider ging es dabei nicht darum, den wichtigen und originellen Beitrag der Ausstellung oder die harte Arbeit der Studierenden hervorzuheben. Vielmehr wurden in verschiedenen Artikeln Vorwürfe erhoben, die sich auf den Umgang der Kurator:innen mit der feministischen Philosophin Carola Meier-Seethaler beziehen. Es wurde ihnen vorgeworfen, dass sie cancel culture betreiben, weil sie angeblich Carola Meier-Seethalers Beitrag von der Ausstellung ausschlossen, da dieser eine transphobe Aussage enthielt. Darüber hinaus wurde der Charakter der Kurator:innen in unfairer Weise angegriffen, und es wurden Kommentare abgegeben und veröffentlicht, in denen sie als arrogant bezeichnet wurden. Während dieses gesamten Prozesses wurde den Kurator:innen keine angemessene Gelegenheit gegeben, sich zu äußern oder ihren Standpunkt darzulegen.
Besonders besorgniserregend ist auch die Tatsache, dass Tanja Liebschwager und ihre Ausstellung aus den mehr als 80 Veranstaltungen der philExpo22 herausgegriffen wurde. Die philExpo22 und die Ausstellung selbst haben sich zum Ziel gesetzt, einen Überblick über die philosophische Landschaft in der Schweiz zu geben. Sowohl die Kuratoren von philoSOPHIA als auch die Organisatoren und Koordinatoren der philExpo22 haben sich bemüht, ihre Veranstaltungen so inklusiv, vielfältig und repräsentativ wie möglich zu gestalten. Der Vorwurf, sie würden cancel culture betreiben, ist schlichtweg lächerlich und offensichtlich falsch.
Das Gründungsziel von SW*IP CH ist es, den Stimmen von Frauen* und anderen gender Minderheiten, die in der Philosophie tätig sind, Gehör zu verschaffen und Diskriminierung aufgrund von gender/sex für alle Menschen zu beenden. Wir tun dies, indem wir daran arbeiten, inklusive und sichere Räume zu schaffen, in denen wir als Philosoph:innen und als Menschen lernen und wachsen können. Aus diesem Grund ist SW*IP mit mehreren Veranstaltungen an der philExpo22 beteiligt und hat auch mit den philoSOPHIA Kurator:innen in Basel zusammengearbeitet. Und deshalb stellen wir Tanja Liebschwager nun hier den Raum zur Verfügung, um ihre Antwort auf die Behandlung der Kurator:innen von philoSOPHIA zu veröffentlichen.
In den letzten Wochen wurde Tanja gemobbt, schikaniert und online belästigt und bedroht. Wir verurteilen die Gewalt, die Belästigung sowie die persönlichen Angriffe aufs Schärfste und sind sehr besorgt über den Zustand der öffentlichen Debatte zu Fragen des Feminismus und Gender. Den Umgang der Medien mit Tanja und den anderen Kurator:innen finden wir verwerflich. Es ist ein Machtmissbrauch, eine Gruppe von Studierenden öffentlich ins Visier zu nehmen und auszugrenzen, die an einem Bildungsprojekt teilnehmen, dessen Ziel es ist, etwas über das Kuratieren und die Geschichte von femme-identifizierten-Personen in der Philosophie in der Schweiz zu lernen. Er stigmatisiert ihre Arbeit auf ungerechte Weise und macht sie zur Zielscheibe von Online-Belästigungen. In Anbetracht dieser Behandlung fordert unser Leitbild, dass wir uns engagieren und Tanja und das Kurator:innen Team von philoSOPHIA voll unterstützen.
Unserer Ansicht nach ist das, was hier passiert, Teil eines größeren Problems, bei dem nuancierte und wichtige Diskussionen über Gender in akademischen Räumen instrumentalisiert und benutzt werden, um mit übertriebenen Behauptungen über die so genannte cancel culture Klicks zu erzeugen. Tanja und die Ausstellung werden von einem Medienunternehmen ins Visier genommen, das in der Vergangenheit transfeindliche und zutiefst konservative Inhalte unter dem Deckmantel einer ausgewogenen Diskussion über die Frage, wer als Frau zählt, veröffentlicht hat. Dies ist Teil eines grösseren Musters, bei dem die "Frauenfrage" dazu benutzt wird, die Erfahrungen von Trans-Personen zu instrumentalisieren, um einen zutiefst konservativen und schädlichen Diskurs über Gender zu fördern. SW*IP CH vertritt die Position, dass Geschlechtsidentitäten materiell real sind und respektiert werden müssen. Wir unterstützen das Ziel der Kurator:innen, eine Ausstellung zu schaffen, die genau das tut.
Darüber hinaus möchten wir darauf hinweisen, dass die Art von Mobbing und Belästigung, die gegen Tanja und die Kurator:innen dieser Ausstellung in und durch die Medien verübt wurde, ein Beispiel für die Art von Behandlung ist, die Frauen* und gender Minderheiten in der Philosophie erfahren. Eine solche Behandlung ist einer der Gründe dafür, dass Frauen* und gender Minderheiten sowie feministische philosophische Arbeiten in der Disziplin der Philosophie unterrepräsentiert, marginalisiert und ausgeschlossen sind. Sie schafft ein unsicheres und toxisches Umfeld für alle. Für die Betroffenen wird das Versäumnis, eine solche gewalttätige Behandlung oder das dadurch geschaffene feindliche Umfeld anzusprechen, oft als stillschweigende Billigung dieser strukturellen Gewalt empfunden. Wir müssen uns unbedingt solidarisch zeigen, und eine Verurteilung ist daher absolut notwendig.
Unten finden Sie Tanjas Stellungnahme zu diesem Thema. Außerdem finden Sie die Antwort der philExpo22 sowie eine Liste von Veranstaltungen, die Sie besuchen können, falls Sie mehr über Themen wie feministische Philosophie, gender-basierte Diskriminierung und öffentliche Debatten erfahren möchten. Wir empfehlen auch die Lektüre unseres Leitfadens für gute Praxis (Good Practice Guide), der detaillierte Informationen darüber enthält, wie man in philosophischen Instituten integrative und sichere Räume schaffen kann.
Jetzt lassen wir Tanjas Worte für sich selbst sprechen:
Tanja Liebschwagers Reaktion
Seit circa einem Jahr plane ich zusammen mit einer guten Freundin und jetzt mit einem etwas grösseren Team die Ausstellung philoSOPHIA, die sich mit Frauen und weiblich gelesenen Personen in der Philosophie befasst. Wir haben alle zuvor noch nie eine Ausstellung organisiert und uns das nötige Wissen dafür komplett selbst erarbeitet. Unsere ganze Arbeit leisten wir unentgeltlich in unserer Freizeit. Von Anfang an war es uns ein Anliegen, unterschiedliche Perspektiven mit einzubeziehen, weshalb wir beispielsweise auch ein langes Gespräch zur Definition der Personengruppe geführt haben.

Als (ehemalige) Studierende ist es uns ein Anliegen, dass wenn sich die Philosophie der Schweiz im Rahmen der philExpo22 präsentiert, nicht einfach das Stereotyp des männlichen Philosophen verfestigt wird. Das ist der rote Faden der Ausstellung, der verschiedene Themenbereiche und Blickwinkel miteinander verbindet. Um die Leitfrage der philExpo22 Was wollen wir wissen? aufzugreifen, habe ich verschiedensten philosophisch tätigen weiblich gelesenen Personen angefragt, ob sie ein Bild und einen Text oder ein Video beisteuern möchten. Von der Anzahl an Antworten war ich schlichtweg überwältigt und habe mich sehr über die Unterstützung der Beteiligten gefreut. Mittlerweile habe ich unglaublich viel zum Thema der Unterrepräsentation von Frauen in der Philosophie gelesen, mit verschiedensten Personen darüber gesprochen und wurde in der Wichtigkeit, dieses Thema auch in Bezug auf andere Disziplinen der Öffentlichkeit näher zu bringen, sehr bestärkt. Dennoch sind wir keine Gender-Expert*innen und die Ausstellung keine, die sich mit der Frage Was ist Geschlecht? auseinandersetzt. Unsere Ausstellung soll dennoch für Personen jeglichen Geschlechts ein safe space darstellen, was wir auch gegenüber Bettina Weber, der Autorin des Artikels in der Sonntagszeitung, betont haben.
Nun zur Richtigstellung des Artikels: Da wir zum ersten Mal eine Ausstellung planen und dies ohne professionelle Hilfe, hat es laufend konzeptionelle Veränderungen gegeben. Unter anderem haben wir uns dazu entschieden, dass der Film, der während der Ausstellung gezeigt wird, kürzer sein muss, und haben deshalb den Bereich des Films, in dem Personen über ihre Erfahrungen in der Philosophie berichten sollen, komplett gestrichen. Allen Personen, die uns dazu noch nichts geschickt haben, haben wir deshalb so früh wie möglich abgesagt oder nach Umdisponierungsmöglichkeiten gesucht. Dazu gehörte auch Carola Meier-Seethaler, die das Video später eingereicht hätte als andere. Diese Entscheidung hatte auch zur Konsequenz, dass wir den Teil der Ausstellung, der Erfahrungsberichte von Philosophinnen zeigt, als eine anonyme Pinwand umsetzen. Dass dieser Teil anonym sein wird, hat nichts mit sogenannter cancel culture zu tun, sondern damit, dass Personen darin private Dinge von sich erzählen und sich mehrere Beitragende gewünscht haben, dabei anonym zu bleiben. Dass wir Carola Meier-Seethaler angefragt haben, ihren Beitrag dort auszustellen, hat damit zu tun, dass dieser inhaltlich tatsächlich besser dorthin gepasst hätte, da sie in ihrem Text über spannende Erfahrungen in der Philosophie berichtet. Hätten wir den Beitrag in diesen anderen Themenbereich verlegt, wäre der gesamte Text, den wir grundsätzlich sehr gut fanden, etwas gekürzt worden, damit er ins Format der Erfahrungsberichte passt. Das sind kuratorische Entscheidungen, die wir treffen müssen, damit unsere Ausstellung ihr Narrativ beibehalten kann, also ein Beitrag nicht Themen aufgreift, die eigentlich an einem anderen Ort der Ausstellung behandelt werden. Diese sind auch in professionellen Ausstellungen üblich. Die Entscheidung ist folglich in erster Linie konzeptionell, was wir Carola Meier-Seethaler mitgeteilt haben, und hat wenig mit dem Satz zu tun, welchen Bettina Weber in den Fokus ihres Aufsatzes rückt. Was die Idee zur Umdisponierung bestärkt hat, war ein Blick auf Carola Meier-Seethalers Website sowie die erleichterte Reaktion einer trans* Person unseres Teams, die wiederum höchstens am Rande mit diesem einen Satz zusammenhängt. Wie die Autorin in ihrem Artikel berichtet, haben wir Carola Meier-Seethaler mitgeteilt, dass der Satz so bleiben kann, wenn der Beitrag bei den Porträts ausgestellt werden würde. Denn das Ziel der Porträts war von Anfang an, dass verschiedenste weiblich gelesene philosophisch tätige Personen ihre Beschäftigung mit der Philosophie vorstellen, und uns war bewusst, dass wir dabei nicht allen Texten gleichermassen zustimmen werden.
Selbstverständlich ist Carola Meier-Seethaler nicht vom Event und Diskurs ausgeschlossen worden, wie es bereits die Schlagzeile des Artikels suggeriert. Ganz im Gegenteil: Wir haben versucht, eine Lösung zu finden, sodass ihr Beitrag gut in die Ausstellung gepasst hätte, weil der Beitrag so wie er war teils ein Erfahrungsbericht, teils ein Bericht über ihre philosophischen Interessen war und wir diese Bereiche örtlich voneinander getrennt behandeln. Die Umdisponierung ihres Beitrags war schliesslich auch nur ein Vorschlag unsererseits und keineswegs ein Muss oder eine Absage. Wir hätten es sehr begrüsst, wenn Carola Meier-Seethaler bei uns nachgefragt hätte und wir gemeinsam Lösungsmöglichkeiten hätten finden können. Für die Verortung ihres Beitrags hätte es schliesslich auch weitere Möglichkeiten gegeben. Stattdessen haben wir, bevor es dazu hätte kommen können, von Bettina Weber eine Liste grundlegender philosophischer Fragen sowie eine Falschanschuldigung mit einer knappen Antwortfrist erhalten. Das kam sehr unerwartet, wir haben die Falschanschuldigung aber auf Anhieb berichtigt, für die sich die Autorin dann auch entschuldigt hat. Das Erscheinen des Artikels war dann sehr schockierend und verletzend, vor allem weil uns Bettina Weber im Vorhinein nicht darüber informiert hat, dass sie einen Artikel schreiben wird: Ich wurde unwissentlich aus einem privaten E-Mail-Verkehr zitiert, meine Aussagen wurden in einen völlig falschen Kontext gestellt, wir erhielten eine Absage einer Beteiligten, über deren Beitrag ich mich eigentlich sehr gefreut hatte, ich bekam und bekomme bedrohliche Hass-E-Mails und wurde und werde in den Kommentaren des Artikels von fremden Personen sehr unschön beschimpft. Zusätzlich machen sich die Kommentierenden auf aggressive Weise über trans Personen, meine Generation und unsere angeblich fehlende Lebenserfahrung lustig. Bettina Weber verkauft eine bewusst provokative und verzerrte Darstellung, für die sie sich eine straw person zurechtbastelt, um einer konservativen politischen Agenda nachzugehen.
Offizielle Stellungnahme der philExpo22
Übersetzung. Lesen Sie die englische Orginalfassung hier.
Über die kuratorischen Entscheidungen der philExpo22-Veranstaltungen:
Die philExpo22 ist ein Festival der Philosophie mit vielfältigen und heterogenen Exponaten. Die Titel und Inhalte aller Exponate des Festivals werden ausschließlich von den Veranstalter:innen und Kurator:innen der einzelnen Exponate bestimmt. Dies gilt auch für philoSOPHIA. Die Entscheidungen der Organisator:innen und Kurator:innen der einzelnen Veranstaltungen sind ihre eigenen und nicht repräsentativ für das Festival.

Eine der Kuratorinnen der philoSOPHIA-Ausstellung ist Mitglied des Koordinationsteams des Festivals und verantwortlich für die sozialen Medien des Festivals. Entgegen den Presseberichten hat sie nie im Namen des philExpo22-Teams oder im Namen des Vereins philosphie.ch über die Organisation der Ausstellung kommuniziert.
Ein paar Tools zur Debattenkultur:
Was ist eine Debatte? Laut dem Oxford English Dictionary: "Öffentliche Diskussion über vorher festgelegte Themen, bei der jeder Teilnehmer seine Meinung äußern und begründen darf."
Was bedeutet es, zu kuratieren? Cambridge English Dictionary: "für die Auswahl und Pflege von Objekten zuständig sein, die in einem Museum gezeigt werden oder Teil einer Kunstsammlung, einer Ausstellung usw. sind".
Collins: "Etwas zu kuratieren bedeutet, verschiedene Gegenstände sorgfältig auszuwählen, anzuordnen und zu präsentieren, um einen bestimmten Effekt zu erzielen."
Selektieren, sorgfältig auswählen und arrangieren. Die Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung philoSOPHIA (eine Initiative im Rahmen des Festivals philExpo22 - Eine Woche der Philosophie in der Schweiz mit insgesamt mehr als achtzig Veranstaltungen) sind für die konzeptionelle und materielle Gestaltung der Ausstellung verantwortlich. Diese Rolle hat sowohl eine politische als auch eine ästhetische Dimension. Diese Entscheidungen (Format, Ort, usw.) wurden mit allen Intellektuellen besprochen, die angefragt wurden einen Beitrag in Form von einem kurzen Text, einem Foto oder eventuell einem Video einzureichen. Die Diskussion über die Einzelheiten des Inhalts einer Ausstellung, die Aufmerksamkeit für Sprache und Worte, die Verhandlung und die Analyse dessen, worauf sie anspielen, welches Wertesystem sie mit sich bringen, gehört zum kollaborativen kreativen Prozess eines kulturellen Ereignisses.
Es handelt sich nicht um ein öffentliches Verfahren; es fällt nicht unter die Definition, die wir für eine Debatte gesehen haben. Es handelt sich ebenso wenig um eine öffentliche Debatte wie die Probe eines Theaterstücks oder eines Konzerts, die Äußerungen eines Regisseurs während des Produktionsprozesses oder der Briefwechsel zwischen einem Journalisten, der einen Artikel schreibt, und einem Redakteur. Warum? Weil das Stück, der Artikel, nicht (vielleicht noch nicht) inszeniert oder publiziert wurde: öffentlich gemacht. Ganz allgemein kann man sagen, dass eine Ausstellung in eine bestimmte Debatte eingreift, d.h. sie drückt eine Meinung aus oder vermittelt eine Meinung zu einem Thema, das in der Öffentlichkeit durch journalistische oder akademische Veröffentlichungen oder politische Aktivitäten diskutiert wird. (Die Frage nach den sozialen Unterschieden im Zugang und den Risiken, die mit diesen Instrumenten und Bereichen verbunden sind, sowie nach den damit verbundenen kognitiven und politischen Ressourcen - Sprache, Spezialisierung und Leichtigkeit der Kommunikationsdynamik, Qualität der verfügbaren und erreichbaren Aufmerksamkeit, institutionelle und rechtliche Unterstützung usw. - lasse ich hier beiseite). Aber eine Veranstaltung greift erst dann in eine Debatte ein, wenn sie eröffnet wurde, und nicht, wenn sie sich noch in der Vorbereitung befindet.
Die in dem Artikel veröffentlichte Kommunikation (ein privater Austausch, für dessen Veröffentlichung keine Erlaubnis eingeholt wurde) zeigt lediglich, dass die kuratorische Arbeit im Gange war. Die Konzentration auf die vermeintlich "arrogante" Aufforderung, einen Begriff im Text zu ändern und das Material auf eine bestimmte Weise anzuordnen, lässt den kuratorischen Prozess außer Acht. Ein Kurator möchte bestimmte Wirkungen auf die Betrachter erzielen, und die Mittel zur Erzielung dieser Wirkungen werden von den Kurator:innen ausgewählt und umgesetzt. Auf rechtlicher Ebene ist dies so, weil der Inhalt einer Ausstellung in erster Linie in der Verantwortung der Kurator:innen liegt und diese die rechtliche Verantwortung für den Inhalt der Veranstaltung tragen. Auf einer materiellen Ebene werden Wirkungen und Kriterien innerhalb einer kuratorischen Praxis gestaltet, weil diese Praxis nicht in einem neutralen Kontext stattfindet und "jeder Ort das dort gezeigte Objekt (Werkschöpfung) radikal (formal, architektonisch, soziologisch, politisch) mit seiner Bedeutung durchdringt" (D. Buren, Radically, dialectically, in: Thinking about Exhibitions, Routledge, 1996, S.223).
Der Titel des Artikels von Bettina Weber[1] hätte lauten müssen: "Die Kurator:innen einer Ausstellung besprechen deren Inhalt mit den eingeladenen Mitwirkenden und stellen fest, dass sie sich nicht einig sind, was sie zeigen und wie sie es anordnen sollen. Die Beitragende beschließt, sich zurückzuziehen". Aber das hätte nicht so viele Klicks gebracht.
Die Gruppe der Kurator:innen besteht aus jungen, neugierigen, intelligenten und enthusiastischen Menschen, die diese Ausstellung auf freiwilliger Basis erstellen. Einige von ihnen erkennen sich in dem Geschlecht wieder, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, andere nicht. “Wir wollen Transfeindlichkeit keinen Raum geben" und "für uns hört die Debatte an dem Punkt auf, an dem Menschen aufgrund ihrer eigenen Existenz diskriminiert und belästigt werden", antworteten sie auf die Frage, ob die Philosophie uns lehre, immer offen für Debatten zu sein, oder ob dies Grenzen habe. Dies sollte eine Aussage über ihre allgemeine Sichtweise sein und wie sich diese in der Ausstellung widerspiegelt; dies wurde nicht in Bezug auf die Arbeit der betroffenen Philosophin erwähnt.
Dennoch sind wir der Meinung, dass der Medienfokus auf diese Episode schlecht beabsichtigt und unverhältnismäßig war. In dieser Hinsicht sind wir besonders verbittert über die Online-Beleidigungen, die diese Aufmerksamkeit für unsere Kollegin verursacht hat.
Wir bedauern, dass es offenbar ein Missverständnis zwischen den Kurator:innen und Carola Meier-Seethaler gegeben hat, die sich großzügig und aktiv engagiert hat. Wir freuen uns zu hören, dass Carola Meier-Seethaler gerne am Festival philExpo22 teilgenommen hat, bei dem sie immer willkommen war und ist.
Im Programm des Festivals finden sich mehrere Treffen, Versammlungen und Workshops zur feministischen Philosophie, an denen viele philosophische Strömungen/Positionen teilnehmen (einige werden auch online verfügbar sein). Wir laden alle, die sich an den Diskussionen beteiligen möchten, herzlich dazu ein:
09/05 – h 14:00 - Doing Philosophy Better (1) Vortrag / Diskussion der Society for Women* in Philosophy (SW*IP), UZH Kutscherhaus, Zollikerstr. 115, Seminarraum, ZOB E 2. Animiert von: Karen Poertzgen, Aneta Zuber.
09/05 – h 18:15 - Philosophies et féminismes : propositions pour une coalition des savoirs. Conférence organisée par le Groupe Genevois de philosophie, à l’Université de Genève, Bâtiment d’Uni Mail, Bd du Pont-d’Arve 40, Genève. Invitée : Cynthia Kraus
10/05 – h 15:00 - Doing Philosophy Better (2) Bystander Training der Society for Women* in Philosophy (SW*IP), Feministisches Streikhaus Zürich, Sihlquai 115. Animiert von: Deborah Mühlebach und Rebekka Hufendiek.
13/05 – h 14:0 - Feministische Epistemologie. Workshop im Raum 115 des Hauptgebäudes der Universität Bern, Hochschulstrasse 4, Bern. Organisiert und durchgeführt von: SW*IP.
14/05 – h 18:15 - Epistemic Wrongs Workshop und Podiumsdiskussion vom Philosophischen Seminar UZH & Philosophische Gesellschaft Zürich, KOL-G-204, UZH-Zentrum, Rämistr. 71. Referentin: Veli Mitova (University of Johannesburg).
Die Möglichkeiten zur Diskussion werden vielfältig sein! In der Regel finden die Debatten und Diskussionen im Anschluss an eine oder mehrere Präsentationen statt und teilen dasselbe Thema.
Möchten Sie mehr über die Debatten erfahren? Es gibt auch viele Veranstaltungen, die sich mit der Debattenkultur beschäftigen. Wir laden Sie ein zu:
07/05 – h 20:00 - Ethik des Nichtwissens. Referat und Diskussion organisiert von den Bieler Philosophietagen im Saal des Farelhauses, Oberer Quai 12, Biel/Bienne. Sprache/Langue: Deutsch mit Simultanübersetzung ins Französische. Gast/Invité: Markus Gabriel.
07/05 – h 15:00 - Wer sorgt sich um sich selbst? Diskussionsrunde an der EHT-GESS, ETH-CLW, Clausiusstrasse 49. Animiert von: Michael Hampe.
08/05 – h tbd - Das will ich gar nicht wissen! Podiumsdiskussion organisiert von der Krino -Philosophische Gesellschaft Bern.
09/05 – h 19:00 - Was wir lieber gar nicht wissen wollen. Philosophisches Café. Organisiert von philocom Philosophische Praxis und Volkshochschule Bern. Unitobler, Lerchwenweg 36, Bern. Durchgeführt von: Detlef Staude und Andreas Heise.
12/05 – h 19:00 - Risse in der Gesellschaft. wahrnehmen – verstehen – überwinden. Podiumsgespräch im Raum 101 des Hauptgebäudes der Universität Bern. Organisation und Moderation: Thomas Schüpbach, Hochschulseelsorger (forum3) & André Lourenço, stud. Religionswissenschaft.
13/05,– h 16:00, 14/05 -h 10; 14/05 – h: 20:00- FULL DIALOG – Eine Anleitung zum Streit. Kunstinstallation im Kornhausforum, Kornhausplatz 18, Bern. Organisiert und durchgeführt von: pulp.noir.
07/05 – h 19:30 Wissen und Weisheit – Philosophische und (interreligiös-)theologische Perspektiven zu(r) Weisheit. Thematischer Input (Panel zu dritt) und anschliessende Diskussion mit allen Teilnehmenden, Atelier für Kunst und Philosophie, Albisriederstrasse 162. Animiert von: Martin Kunz, Markus Huber und Jasmine Suhner.
Philosophische Implikationen - Gedanken von Ilaria Fornacciari (philExpo22)
Übersetzung. Lesen Sie die englische Originalfassung hier.
Dieser "Vorfall" ist für das Thema des Festivals nicht unerheblich. Der rote Faden der Woche lautet "Was wollen wir wissen?". Die allgemeine Absicht besteht darin, die klassische kantische Frage nach dem modernen Gegenstand des Wissens (Was kann ich wissen?) in zwei Richtungen zu öffnen: vom Subjekt zur Intersubjektivität (wir); von der Möglichkeit zum Willen (wollen). Die implizite Frage lautet also zunächst: Was ist/wer sind "wir"?
Mir fällt auf, dass "wir" wahrscheinlich genau das ist, was wir in dem, was wir "Demokratie" nennen, ständig neu verhandeln. In der Immanenz des sozialen Kontextes werden die Regeln und Grenzen des Zusammenseins, wer wir sind und wer nicht, nicht von oben herab entschieden oder auferlegt, gelten nicht als unantastbar oder transzendent. Dieser "Zwischenfall" betrifft die Definition des "Wir": Es handelt sich um eine verpasste oder gescheiterte Verhandlung. Unter den Initiativen des Festivals gibt es, da die Organisation räumlich und zeitlich nicht zentralisiert ist, ein Kaleidoskop von "Wir"s. Einige von ihnen sind vielleicht zeitlich stabil, an eine Institution mit einer Geschichte oder Tradition gebunden, andere sind jünger, einige "Wir"s werden die Zeit eines Gesprächs überdauern, andere werden hoffentlich geboren werden. Wir sind uns nicht sicher, ob aus dieser Erfahrung ein großes inklusives "Wir" hervorgehen wird, aber wir versuchen, zwischen diesen "Wir"s Brücken zu bauen. Dieser "Vorfall" zeigt, dass einige "Wir"s schwer zu dehnen sind.